Bisherige Rechtslage
Bisher sind Agri-PV-Anlagen bereits im Rahmen des § 35 Abs. 1 Nummer 1 BauGB bauplanungsrechtlich privilegiert. Dies gilt aber nur, wenn sie dazu bestimmt sind, einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb zu dienen. Hierfür ist Voraussetzung, dass der Land- bzw. Forstwirt auch Betreiber der Agri-PV-Anlage ist und der mit ihr erzeugte Strom praktisch ausschließlich im eigenen land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb verbraucht wird. Eine Einspeisung und Vermarktung des Stroms im Rahmen des EEG kommt grundsätzlich nicht in Betracht.
Neue Privilegierung in § 35 Absatz 1 Nummer 9 BauGB
Mit dem neuen § 35 Absatz 1 Nummer 9 BauGB ändert sich das. Hiernach werden jetzt nicht nur Agri-PV-Anlagen, sondern alle „besondere Solaranlagen“ im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes privilegiert, wenn
a) das Vorhaben in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem land- oder forstwirtschaftlichem Betrieb oder einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung steht,
b) die Grundfläche der besonderen Solaranlage nicht 25.000 Quadratmeter überschreitet und
c) je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben wird.
Der räumlich-funktionale Zusammenhang dürfte jedenfalls dann gegeben sein, wenn die Agri-PV-Anlage eine gewisse räumliche Nähe zur zugeordneten Hofstelle bzw. dem zugeordneten Betriebsstandort hat und die betroffene Fläche hiervon aus bewirtschaftet wird. Zudem wird die Agri-PV-Anlage für diese Bewirtschaftung auch einen gewissen Mehrwert bringen müssen. Dies dürfte zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die Agri-PV-Anlage den unter ihr angebauten Kulturpflanzen Schutz vor Witterungsereignissen bietet oder deren Verschattung zu Ertragssteigerungen führt.
Nicht eindeutig geregelt ist, ob der die Fläche bewirtschaftende land- oder forstwirtschaftliche Betrieb bzw. der Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung zwingend auch Betreiber der Agri-PV-Anlage sein muss. Aus der Formulierung der Regelung folgt das nicht zwingend. Jedoch kann die Voraussetzung in Buchstabe c, dass „je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben wird“, in diesem Sinne verstanden werden. Insofern und auch bezüglich der weiteren Voraussetzungen wird abzuwarten sein, ob es hierzu eine Klärung durch die EEG-Clearingstelle geben wird oder wie diese im Streitfall von den Gerichten ausgelegt werden.
Inkrafttreten der neuen Privilegierung
Die Änderung des Baugesetzbuchs erfolgt im Rahmen des vom Bundestag am 15. Juni 2023 beschlossenen „Gesetzes zur Stärkung der Digitalisierung im Bauleitplanverfahren und zur Änderung weiterer Vorschriften“. Da der Bundesrat bereits am darauffolgenden Tag beschlossen hat, den Vermittlungsausschuss nicht anzurufen, steht einer zeitnahen Verkündung des Gesetzes und dessen Inkrafttreten nichts mehr im Weg.